Das Gefühl der Langeweile

Was dahinter steckt und was Sie dagegen tun können

Bild: Canva.com

Zu der Zeit, als dieser Blog-Beitrag entstanden ist, empfahl die Schweiz weiterhin zu Hause zu bleiben und von dort aus zu arbeiten. Als eher extrovertierter Mensch, der die Vorzüge des Stadtlebens voll und ganz zu schätzen weiß (Restaurants, Kino, Konzerte, Festivals!), war die Umstellung gelinde gesagt nicht einfach. Um die Zeit totzuschlagen, verbringe ich mehr Stunden als mir lieb ist damit, durch Social Media zu scrollen oder Netflix zu schauen, anstatt sinnvolleren Tätigkeiten nachzugehen.

So geht es vermutlich vielen anderen von Ihnen auch. Tagein, tagaus zu Hause eingesperrt, wollen wir Langeweile unbedingt vermeiden und füllen jede freie Minute mit irgendeiner, wenn auch sinnlosen Aktivität.

Langeweile ist ein unangenehmes Gefühl, das man unter allen Umständen vermeiden möchte. In einer berühmten 2014 durchgeführten Studie wurden die Studienteilnehmer 15 Minuten lang in einen Raum gesetzt, in dem es nichts anderes zu tun gab, als nachzudenken. Sie konnten aber, falls sie wollten, sich selbst einen Elektroschock versetzen. Überraschenderweise setzten sich 67% der Männer und 25% der Frauen, die zuvor angegeben hatten, dass sie für die Vermeidung eines Elektroschocks Geld zahlen würden, dennoch freiwillig unter Strom. Wilson und Peper geben im Abstract der Studie an, dass die meisten Menschen lieber irgendetwas als überhaupt nichts machen, selbst wenn irgendetwas negativ ist.

Was ist Langeweile und wie entsteht sie?

Auch wenn wir alle genau wissen, wie sich Langeweile anfühlt, ist eine genaue Definition davon nicht einfach. Das liegt daran, dass es viele verschiedene Sorten der Langeweile gibt. Daschmann et al. (2011) haben insgesamt sieben Langeweile-Typen bei Schülern identifiziert: überfordert sein, unterfordert sein, gelangweilt sein von einer unveränderlichen Routine, keinen Sinn im Lernen sehen, etwas Besseres zu tun haben als im Unterricht zu sein, den Lehrer nicht mögen und sich unbeteiligt fühlen. In seiner umfassenden Untersuchung zur Langeweile teilt Toohey (2012) diese Emotion in zwei Grundformen ein: einfache (situative) Langeweile und existentielle Langeweile. Einfache Langeweile ist die häufigere, tägliche Langeweile, die kommt und geht. Die existentielle Langeweile hingegen ist ein langanhaltender Zustand, in dem eine Person den Sinn der eigenen Existenz nicht mehr sehen oder erkennen kann. Die Langeweile, die Sie erleben, wenn Sie kurzzeitig nichts mit sich anzufangen wissen, zählt zur einfachen Langeweile. Um diese geht es in diesem Blog-Beitrag.

Die einfache Langeweile wird meist so beschrieben, dass sie durch einen externen Umstand ausgelöst wurde: zu Hause eingesperrt zu sein, eine anspruchslose Aufgabe erledigen zu müssen oder einer langatmigen Vorlesung zuhören zu müssen. Toohey beschreibt diese Art der Langeweile als ein Gefühl, der aktuellen Situation, die sich immer länger zieht, nicht entkommen zu können. Das geht so weit, dass man sich gar nicht mehr als Teil davon wahrnimmt.

Langeweile ist damit das Gegenteil des Flow-Zustandes, in welchem Sie Ihre Arbeit spielend erledigen, Ihr Verstand angeregt ist und die Zeit wie im Flug vergeht. Idealerweise wären wir immer im Flow, wenn wir eine Aufgabe erledigen müssen. Das ist jedoch nicht der Fall, weshalb Langeweile ein wohlbekanntes Gefühl ist.

Auch wenn Sie Ihr Fachgebiet lieben, werden Sie in Ihrer akademischen Laufbahn an den Punkt geraten, an dem Sie stupide Aufgaben erledigen müssen. Wenn das während einer zeitkritischen Arbeit für Ihr Studium oder eines ungeliebten Kurses passiert, ist das nicht ideal. Es kann aber zum wirklichen Problem werden, wenn Sie das Erlebnis im letzten Jahr Ihrer Promotion haben und von Ihrem Thema völlig gelangweilt sind.

Anders als die Studienteilnehmer, die keine Alternative zur Stimulation mit Elektroschocks hatten, gibt es für uns unzählige Möglichkeiten, uns von dem unangenehmen Gefühl der Langeweile abzulenken. Für viele ist es bereits zum Reflex geworden, dann nach unserem Smartphone zu greifen. Aber könnte die Ablenkung von der Langeweile auch ihren Preis haben?

Warum Langeweile etwas Gutes sein kann

Toohey schätzt Langeweile als eine adaptive Emotion ein. Das bedeutet, dass sie ein Gefühl ist, das wir zum Schutz entwickelt haben. Er geht so weit, dass er sie als Warnsignal des Körpers deutet. Es soll uns vor schlimmeren Dingen bewahren, falls wir unseren Lebensstil nicht ändern. Das beste „Heilmittel“ gegen Langeweile ist es, dem Gefühl zu folgen und sich von der Situation zu entfernen, die es auslöst. Das funktioniert vielleicht gut außerhalb des akademischen Lebens. Hängt Ihre Langeweile aber mit Ihrem Studium oder Ihrer Forschung zusammen, kann man nicht so einfach davonlaufen.

Vielleicht ist es wirklich am besten, die Langeweile auszusitzen und nicht wegzulaufen (oder beim ersten unangenehmen Gefühl das Smartphone zu checken). Denn einige Forscher haben positive Effekte entdeckt, die die Langeweile auslösen kann. So hat Newport (2016) die Auffassung, dass es die Konzentration auf schwierige Aufgaben fördern kann, wenn Sie Ablenkungen in Phasen der Langeweile widerstehen. Wir haben in diesem Blog-Beitrag darüber berichtet. Umgekehrt bedeutet das, wenn Sie in unangenehmen Situationen gerne nach dem Smartphone greifen, Sie es sich umso schwerer machen, sich tief zu fokussieren, sobald Sie es wirklich müssen.

Langeweile scheint auch gut für die Kreativität zu sein. Die Journalistin Manoush Zomorodi berichtet über Studienergebnisse, die aussagen, dass die ständige Stimulation unterbrochen werden muss, um neue Gedanken fassen zu können. In einer der Studien führten Mann und Cadman (2014) künstlich Langeweile herbei, indem sie die Teilnehmer Telefonnummern aus einem Telefonbuch abschreiben ließen. Anschließend führten sie und eine Kontrollgruppe einen Kreativitätstest durch. Das Ergebnis? Die Teilnehmer, die zunächst eine langweilige Aufgabe erledigen mussten, hatten die kreativeren Ideen.

Forscher nehmen an, dass stumpfsinnige Aktivitäten wie in den erwähnten Studien den Standard-Denk-Modus aktivieren. Das ist der Gemütszustand, den wir beim Tagträumen, Umhergehen oder unter der Dusche haben. Wenn Sie sich erlauben, in diesen Zustand abzudriften, könnte Ihr Gehirn plötzlich Verbindungen herstellen, die Sie zuvor nicht gesehen haben. Zomorodi bezeichnet die Langeweile gar als „Inkubator-Labor für Brillanz“. Man muss zunächst diesen unangenehmen, unordentlichen, frustrierenden Ort für eine Weile ertragen, um schlussendlich mit der genialen Formel oder Gleichung aufwarten zu können.

Sie möchten dort auch hinkommen? Wenn Sie Citavi nutzen, könnten Sie bei jedem einzelnen Titel dessen bibliographische Daten überprüfen. Nach ungefähr 20 Minuten wechseln Sie dann in den Programmteil Wissensorganisation und schauen sich Ihre gesammelten Notizen, Zitate, Zusammenfassungen etc. genauer an. Betrachten Sie verschiedene Kombinationen Ihrer Exzerpte in der Vorschau und speichern Sie alle Ideen ab, die Ihnen dabei in den Sinn kommen. Sie können nun hoffentlich leichter Verbindungen zwischen Ideen herstellen, die Sie zuvor nicht gesehen haben.

Strategien, um eine langweilige Aufgabe zu erledigen

Natürlich gibt es auch Zeiten, in welchen Langeweile wirklich zum Problem werden kann. Insbesondere wenn eine Deadline naht. So kann beispielsweise eine Aufgabe, die Sie als langweilig empfinden, länger dauern als sie sollte. Denn Sie lassen sich leichter ablenken oder fangen erst gar nicht damit an.

Ihre negativen Gefühle gegenüber der Langeweile könnten sogar in einen Teufelskreis führen, indem Sie aufgrund Ihrer schlechten Stimmung die Aufgabe als noch negativer und langweiliger einschätzen.

Was können Sie in einer solchen Situation machen? Wenn Sie nur die Langeweile überwinden müssen, um eine Aufgabe anzugehen, versuchen Sie Folgendes:

  1. Machen Sie Musik an
    Viele Studien legen nahe, dass Musik einen positiven Effekt auf Langeweile haben kann. Bereits 1972 zeigten die Forscher Fox und Embrey, dass Hintergrundmusik die Produktivität bei sich wiederholenden Aufgaben steigern kann. Welche Art von Musik funktioniert am besten? In Abhängigkeit davon, was Sie machen, kann das Genre, das Tempo, der Gesang und wieviel Ihnen die Musik bedeutet, alles eine Rolle spielen. Dieser englischsprachige Artikel gibt eine gute Übersicht über die Forschungsergebnisse.

  2. Sitzen Sie gerade
    Wenn wir gelangweilt sind, zeigt sich das auch in unserer Haltung. Sie könnten Ihr Kinn auf Ihre Hand abstützen und sich dabei über Ihren Tisch lehnen. Immer mehr Forschung in diesem Bereich kommt zum Ergebnis, dass die Änderung der Position sich auf die Stimmung auswirkt. In einer 2004 durchgeführten Studie fiel es Studierenden leichter, positive Gedanken aufzubringen, wenn ihre Haltung auch gut war. Wenn sich das nächste Mal das negative Gefühl der Langeweile anschleicht, versuchen Sie sich gerade hinzusetzen oder aufzustehen, falls Sie einen Stehtisch haben.

  3. Fangen Sie einfach an
    Wenn der Gedanke daran, mit einer Aufgabe oder dem Schreiben zu beginnen, Sie so langweilt, dass Sie schlussendlich nichts machen, dann machen Sie es sich zur Gewohnheit, Ihren „Frosch zu essen“ und einfach loszulegen. Manchmal macht allein die Aussicht auf eine vermeintlich langweilige Aufgabe sie schlimmer als sie wirklich ist. Indem Sie einfach anfangen, merken Sie vielleicht, dass sie gar nicht so unfassbar schrecklich ist, wie Sie es sich ausgemalt hatten. Es könnte sogar passieren, dass Sie nach einiger Zeit bei dieser langweiligen Aufgabe Spaß haben.

  4. Rücken Sie die Situation ins richtige Licht
    Eine Studie von Nett et al. (2010) zeigte, dass Studierende, die mit kognitiven Ansätzen die Situation ins richtige Licht rücken, besser abschneiden als Studierende, die einfach die Langeweile vermeiden möchten. Indem diese einen Sinn hinter der langweiligen Aufgabe erkennen (z.B. indem sie daran denken, dass sie diese Aufgabe für ihren Abschluss benötigen), war es erfolgreichen Studierenden möglich, den Wert der Aufgabe zu erhöhen. Das gab ihnen die nötige Motivation, um die Aufgabe zu erledigen.

Weitere Strategien für dem Umgang mit Langeweile und geringer Motivation lesen Sie in diesem früheren Blog-Beitrag.

Langeweile in Krisenzeiten

Während ich hoffe, dass Ihnen diese Tipps auf lange Sicht helfen, setzen Sie sich aktuell bitte nicht zu sehr unter Druck. Momentan mögen sich einige Dinge Ihres akademischen Lebens sinnlos anfühlen und keine der genannten Strategien hilft. Im Moment ist so vieles unsicher, sodass Vorlesungen, gute Noten oder gar ein Abschluss plötzlich ihre Bedeutung verloren haben.

Wenn Ihre Langeweile oder Motivationslosigkeit daher kommen, seien Sie nicht zu hart zu sich selbst. Die aktuelle Krise ist beispiellos und wir versuchen alle, damit so gut wie möglich umzugehen.

Mir hilft es, mich daran zu erinnern, dass Langeweile in der aktuellen Situation ein Luxus ist. Ich habe das Glück, dass ich von zu Hause arbeiten kann, gesund bin und nicht an vorderster Front sein muss. Das gibt mir die nötige Perspektive, um meine Situation nicht länger negativ zu betrachten. Wenn andere so viel machen können, komme ich ganz bestimmt auch mit ein bisschen Langeweile klar.

 

Haben Sie je einen positiven Effekt auf eine langweilige Phase bemerkt? Haben Sie Tipps für die Zeiten, in welchen Sie einfach irgendwie eine langweilige Aufgabe hinter sich bringen mussten? Teilen Sie sie mit uns und allen Leserinnen und Lesern des Blogs auf Facebook!

 

Zur Vertiefung:

Daschmann, Elena C.; Goetz, Thomas; Stupnisky, Robert H. (2011): Testing the predictors of boredom at school: development and validation of the precursors to boredom scales. In: The British journal of educational psychology 81 (Pt 3), S. 421–440. DOI: 10.1348/000709910X526038.

Fox, J. G.; Embrey, E. D. (1972): Music — an aid to productivity. In: Applied Ergonomics 3 (4), S. 202–205. DOI: 10.1016/0003-6870(72)90101-9.

Mann, Sandi; Cadman, Rebekah (2014): Does Being Bored Make Us More Creative? In: Creativity Research Journal 26 (2), S. 165–173. DOI: 10.1080/10400419.2014.901073.

Muller, Derek Alexander (2018): Why boredom is good for you. [YouTube-Video]. Online verfügbar unter https://youtu.be/LKPwKFigF8U, zuletzt aktualisiert am 29.09.2018, zuletzt geprüft am 21.04.2020.

Nett, Ulrike E.; Goetz, Thomas; Daniels, Lia M. (2010): What to do when feeling bored? In: Learning and Individual Differences 20 (6), S. 626–638. DOI: 10.1016/j.lindif.2010.09.004.

Newport, Cal (2016): Deep work. Rules for focused success in a distracted world. London: Piatkus. ISBN: 9780349411903.

Toohey, Peter (2012): Boredom. A lively history. Kindle edition. New Haven (Conn.), London: Yale University Press. ISBN: 9780300181845.

Wilson, Vietta E.; Peper, Erik (2004): The effects of upright and slumped postures on the recall of positive and negative thoughts. In: Applied psychophysiology and biofeedback 29 (3), S. 189–195. DOI: 10.1023/b:apbi.0000039057.32963.34.

Zomorodi, Manoush (2017): Bored and brilliant. How spacing out can unlock your most productive & creative self. New York: St. Martins Press. ISBN: 1427287430.

 

Erstellt von: Jennifer Schultz – Veröffentlicht am: 21.04.2020
Tags: Zeit managen Besser arbeiten


Über Jennifer Schultz

Jennifer Schultz ist die einzige Amerikanerin im Citavi-Team, was ihr ihre Kollegen aber (normalerweise) nicht verübeln. Ihre Leidenschaft, Wissenschaftler bei ihrer Arbeit zu unterstützen, brachte ihr einen erfolgreichen Studienabschluss. Sie mag es aber auch, schwierige Sprachen zu lernen, draußen in der Natur zu sein und ihre Nase in ein Buch zu stecken.

Get a regular dose of research inspiration. Enter your email address to get bi-weekly emails whenever new content is added.