Digitale Textmarker

Wissenschaftliche Texte annotieren und kommentieren

Bild: Canva.com

Haben Sie beim wissenschaftlichen Arbeiten auch ein „guilty pleasure“, ein Laster? Meines waren während meines Studiums Textmarker. Ich habe es geliebt, Texte mit pinken, gelben oder grünen, neonfarbenen Leuchtstiften zu bearbeiten. Schuldig gefühlt habe ich mich, da ich mich selbst dabei ertappt habe, dass ich den Inhalt kaum verarbeitet habe, sondern das kreative Farbergebnis auf dem Papier einfach nur schön fand. Der Text wurde zur reinen Leinwand. Bei digitalen Texten gibt es in PDF-Readern sogar noch mehr Farben zur Auswahl, als mein Schreibwarenladen vorrätig hatte. Einfach hübsch!

Es gibt zum Glück Wege, beim Markieren und Annotieren Ihrer wissenschaftlichen Texte weitaus sinnvoller vorzugehen.

Nehmen wir an, Sie haben eine Recherche durchgeführt und sind auf einige wissenschaftliche Texte gestoßen, die für Ihre Arbeit relevant sein könnten. Nachdem Sie die Abstracts, Inhaltsverzeichnisse und Gliederungen der Quellen überflogen haben, konnten Sie schon einige Treffer als irrelevant für Ihre Forschungsfrage aussortieren. Bei dieser Vorauswahl Ihrer Quellen haben Sie auch nachgeschaut, in welcher Zeitschrift oder bei welchem Verlag die Arbeit erschienen ist. Dank Ihrer Informationskompetenz haben Sie weitere Kriterien bei der Bewertung Ihrer gefundenen Quellen berücksichtigt.
Nun beginnt der schöne Teil der Arbeit. Sie haben jetzt nur noch eine Handvoll Arbeiten vor sich, die Sie in Ruhe lesen und sich intensiv mit ihnen beschäftigen möchten.
Wie halten Sie Ihre Gedanken, die Sie sich beim Lesen des Textes machen, am besten fest? Markieren Sie Textstellen beim Lesen wie ich mit schönen, bunten Textmarkern? Machen Sie sich Notizen, wie wir in diesem Blog-Beitrag vorgeschlagen hatten?

Ich möchte Ihnen verschiedene Vorschläge zum Annotieren wissenschaftlicher Texte machen und zeige Ihnen Workflows, wie Sie das Literaturverwaltungsprogramm Citavi bei der Arbeit mit PDFs einsetzen könnten.

Welche Teile eines Textes sollten Sie hervorheben?

Sie möchten sich intensiv mit den ausgewählten Texten beschäftigen, da Sie sie als relevant für Ihre Arbeit empfinden und sich neue Erkenntnisse erhoffen. Wenn Sie einen wissenschaftlichen Text lesen, machen Sie sich folglich viele Gedanken, die sie festhalten möchten. Als häufige Methode hat sich das farbige Markieren von Textstellen etabliert. Damit am Ende des Lesens nicht der gesamte Text in verschiedenen, bunten Farben leuchtet, sollten Sie sich die Frage stellen, welche Textstellen Sie wirklich markieren möchten. Ich würde empfehlen, dass am Ende maximal 10-20% des Textes markiert sein sollten.

Da sich wissenschaftliche Texte an ein Fachpublikum richten, gehen die Autoren häufig davon aus, dass grundlegende Konzepte, Begriffe und Methoden des Fachbereichs keiner Erklärung mehr bedürfen. Insbesondere zu Beginn des Studiums versteht man aber häufig kaum ein Wort, wenn man Fachaufsätze liest. Sind die Texte zusätzlich in schwieriger Sprache verfasst, mit langen Schachtelsätzen und zudem noch in einer Fremdsprache, benötigt der Text viel Zuarbeit, um ihn verstehen zu können. Sie markieren deshalb die Begriffe, für die Sie eine Übersetzung, ein Synonym oder eine Definition recherchieren müssen.

Stellen Sie sich vor, dass Sie durch das Lesen eines wissenschaftlichen Textes wie in den Kopf des Autors schauen, der ihn verfasst hat. Da sollte man ihn auch gut verstehen können. So könnten Sie diejenigen Textstellen hervorheben, die Sie nicht richtig verstanden haben und nochmals in Ruhe darüber nachdenken möchten. Denn nur dann können Sie Ihren bisherigen Kenntnisstand Ihres Fachbereichs auch mit den neuen Erkenntnissen des Fachkollegen verknüpfen. Dessen neue Ideen oder wichtige Textstellen heben Sie farbig vom restlichen Text hervor.
Beim Lesen lässt man sich regelrecht auf eine Diskussion mit dem Autor der Arbeit ein. Dabei werden Ihnen auch Aussagen begegnen, welchen Sie widersprechen oder zu welchen Sie Fragen haben. Sie könnten diese Stellen markieren und Ihre eigenen Argumente und Gedanken als Kommentare dazu notieren. Oder Sie formulieren die Aussage des Autors in Ihren eigenen Worten um oder fassen diese zusammen.

Darüber hinaus gibt es noch mehr Inhalte und Abschnitte eines wissenschaftlichen Textes, die Sie kennzeichnen könnten. Sie möchten Definitionen eines Fachbegriffs festhalten, die Quellen, die Sie nachrecherchieren sollten, oder wichtige Schlagwörter hervorheben.

Weitere Vorschläge zum Annotieren und Kommentieren

Zusätzlich zur farbigen Markierung von Textstellen können Sie für Ihre Texte ein spezielles System von Zeichen oder Symbolen entwickeln. So könnten Sie Kreise, Sterne, Klammern, Ausrufe- und Fragezeichen aber auch Buchstaben nutzen. Sie legen sich eine Legende Ihrer eigenen Zeichen an, um auch wenn Sie den Artikel in 5 Jahren nochmals zur Hand nehmen, zu wissen, welches Symbol wofür steht. So finden Sie eine Textstelle leichter wieder, wenn es darauf ankommt. Die Universität Bielefeld stellt in diesem Leitfaden ein mögliches System zur Kennzeichnung vor.

Das Kennzeichnungssystem setzen Sie auf einem ausgedruckten Text in der Regel am Rand ein, weil dort genügend Platz zur Verfügung steht. Haben Sie ein Buch ausgeliehen, könnten Sie einen Papierstreifen an die Seite eines Textes legen, und darauf Ihre Kennzeichnung vornehmen. Oder Sie kopieren die wichtigsten Passagen des Textes (unter Einhaltung des Urheberrechts) und nehmen darauf Ihre Markierung vor. Bei digitalen Texten lassen sich Randnotizen per Klick erstellen. Sie könnten beispielsweise bestimmte Icons, Emojis oder Stempel verwenden, um eine Textpassage zu kennzeichnen. In Ihrem PDF-Reader könnten Sie eine bestimmte Highlighter-Farbe mit einer Bedeutung belegen. Beispielsweise könnten Definitionen immer blau sein und Quellen, die Sie nachrecherchieren möchten, immer rot. Auch diese Belegung sollten Sie aber in einer Legende festhalten. Ihre Kommentare könnten Sie als Notiz tippen, handschriftliche Notizen sind gut auf einem Tablet mit Stift möglich.
Möchten Sie umfassende Kommentare, Zusammenfassungen oder Notizen erstellen, könnten Sie ein separates Dokument (z.B. in Word) anlegen und Ihre Gedanken beim Lesen dort festhalten. Um den Bezug zum Originaltext nicht zu verlieren, tragen Sie die Titeldaten der Arbeit ebenfalls ein.

PDFs auswerten in Citavi

Leichter geht es mit einem Programm, das speziell für die Annotation wissenschaftlicher Texte entwickelt wurde, z.B. Zettelkasten oder Weava. Im Literaturverwaltungsprogramm Citavi stehen Ihnen zur Auswertung von PDFs verschiedene Tools zur Verfügung. Dieses E-Book stellt die Funktionen zum Auswerten von PDFs vor. Das Ziel der Auswertung ist es, das Gelesene später für die eigene Textproduktion verwenden zu können. Die Notizen und Annotationen einer Arbeit sind mit dem gelesenen Text verknüpft, sodass Sie diese später leicht wiederfinden, zuordnen und insbesondere zitieren können.

In Citavi ist jedem Typ von Markierung eine bestimmte Farbe und ein sogenanntes Wissenselement zugeordnet. Dadurch können Sie sich auch später leicht daran erinnern, welche Farbe wofür stand und müssen (theoretisch) keine Legende mehr führen. Zudem wird die Zusammenarbeit im Team erleichtert, wenn jedes Teammitglied weiß, dass z.B. die Farbe orange für einen Kommentar steht. Sie können auch die Annotationen oder Kommentare Ihrer Kollegen ausblenden, um ein “frisches” Dokument zu markieren.

Arbeiten Sie allein, steht Ihnen frei, welches Annotationswerkzeug Sie in Citavi wählen oder wie Sie es einsetzen. Um einen Eindruck davon zu bekommen, wie Sie mit Citavi annotieren und kommentieren könnten, stelle ich Ihnen unterschiedliche Workflows vor, die mir im Support zu Ohren gekommen sind:

1) Erst gelb, dann bunt

Bei diesem Workflow lesen Sie den Text mehrmals. Sie würden ihn zuerst einmal grob überfliegen und dabei mit dem gelben Marker erste, vermutlich wichtige Passagen markieren. Das hilft Ihnen dabei, sich beim ersten Lesen einen Überblick über den Text zu verschaffen. Hierbei zeigt sich der Vorteil davon, dass insbesondere wissenschaftliche Aufsätze in der Regel eine feste Struktur haben, an der Sie sich orientieren können. Zu Beginn findet sich ein Abstract, das die Arbeit zusammenfasst, am Ende die Diskussion, welche die Ergebnisse der Arbeit bewertet und in einen größeren Kontext setzt. Müssen Sie sehr viele Arbeiten lesen, konzentrieren Sie sich rein auf diese Teile des Textes beim ersten Lesedurchgang. Sie werden dabei auch auf Arbeiten stoßen, die Sie doch nicht benötigen und gleich zur Seite legen können.

Beim zweiten Lesedurchgang schauen Sie sich insbesondere Ihre bereits gelb markierten Textpassagen nochmals an und verarbeiten Sie weiter:

2) Nur wörtliche Zitate

Bei diesem Workflow setzen Sie es sich zum Ziel, den Originaltext nur ein einziges Mal zu lesen. Dafür müssen Sie sehr konzentriert sein, um den Text gezielt nach wichtigen Aussagen durchforsten zu können. Denn Sie lesen ihn nicht wie einen Roman von Anfang bis Ende, sondern steuern Textteile an, die wichtige Aussagen enthalten könnten. Nur in Ausnahmefällen, wenn Sie ein sehr wichtiges Standardwerk durcharbeiten, kann es sich lohnen, es komplett zu lesen. Setzen Sie sich dabei aber unbedingt ein Zeitlimit, um sich nicht in Details zu verlieren.
Damit Sie keinen zweiten Lesedurchgang benötigen, nehmen Sie direkt wichtige Textpassagen als „wörtliche Zitate“ auf. Fassen Sie den Inhalt des markierten Textes in wenigen Worten als Kernaussage zusammen, damit Sie die Textpassage später leichter in Citavi wiederfinden. Um auch den Kontext nicht zu verlieren, fügen Sie Ihre eigenen Kommentare zu den übernommenen Textstellen hinzu. Das Speichern als wörtliches Zitat hat den Vorteil, dass die markierte Textstelle in Citavi übernommen wird. Sie können sie später leicht wiederfinden und auch beim Schreiben mit nur wenigen Klicks direkt in Word übertragen. Dort können Sie die wörtlichen Zitate in Ihren eigenen Worten umformulieren oder Anführungszeichen ergänzen.

3) Ihr Color-Code

Citavi unterstützt diese Vorgehensweise nur mit Umwegen, im Handbuch würden Sie sie deshalb nie finden. Dennoch möchte ich Ihnen die Schritte, die uns Nutzer berichtet hatten, nicht vorenthalten:

Bei diesem Workflow bleiben Sie Ihren bisherigen Annotationsgewohnheiten aus anderen PDF-Readern oder dem manuellen Markieren in Ausdrucken treu. Dabei nutzen Sie nicht die Möglichkeiten, die Ihnen Citavi mit seiner Wissensorganisation eigentlich bietet. Sie führen z.B. ein System, das Sie in einem PDF-Reader eingeführt haben, in Citavis Vorschau fort. Sie ignorieren, dass eine lila Markierung für ein indirektes Zitat steht. Denn Sie wissen, dass Definitionen lila markiert sind. Und grün steht nicht für eine Zusammenfassung, sondern für eine beschriebene Methode. Die Textfelder der Wissenselemente lassen Sie leer, für Sie ist nur die farbige Markierung im PDF-Dokument interessant. Den Programmteil Wissensorganisation nutzen Sie nicht, Sie schreiben direkt in Word und blicken dabei auf Ihre Markierungen im PDF. Da nicht alle Markierungen im PDF in Citavi dauerhaft sichtbar sind (manche Annotationsarten sind als farbige Striche am Rand gekennzeichnet), exportieren Sie Ihre Markierungen in die PDF-Datei.
Alternativ öffnen Sie die PDF-Datei nicht in Citavis Vorschau, sondern in Ihrem gewohnten, externen PDF-Reader. Dies ist bei Cloud-Projekten jedoch nicht möglich.

4) Fragen stellen

Eine weitere Herangehensweise zur Auswertung eines Textes ist es, gezielte Fragen an den Text zu formulieren, und zwar bevor Sie ihn tatsächlich lesen. Sie könnten sich ein Template erstellen mit den folgenden Fragen, das Sie in Citavi als Zusammenfassung speichern:

  • Welche Fragen möchten die Autoren beantworten?
  • Gibt es einen Interessenskonflikt? (Hintergrund des Autors)
  • Welche Methoden wurden gewählt?
  • Wurden die Ausgangsfragen beantwortet?

Das Template kopieren Sie sich für jeden Text, den Sie aktuell lesen. Auf Markierungen im Text verzichten Sie. Während des Lesens des Textes lassen Sie das Wissenselement geöffnet und beantworten gezielt Ihre Fragen. Ihre Antworten formulieren Sie im Wissenselement aus. Fallen diese zu lang aus, können Sie die Fragen auch aufteilen und jeweils separate Wissenselemente daraus erstellen.

5) Minimalistisch

Das Wissenselement „Zusammenfassung“ kann auch als solche genutzt werden, indem Sie (fast) keine Annotationen im Text machen und stattdessen Ihre eigene Zusammenfassung schreiben. Wie Sie dabei vorgehen könnten, lesen Sie in diesem Blog-Beitrag nach. Schreiben Sie meist lange Zusammenfassungen, könnten Sie diese auch in einem Textverarbeitungsprogramm tippen und das Dokument später dem Titel anhängen.

 

Es gibt kein richtig oder falsch beim Annotieren oder Kommentieren von wissenschaftlichen Texten. Suchen Sie sich den Workflow aus, der für Sie persönlich am besten funktioniert. Selbstverständlich können Sie die Workflows auch kombinieren, bis Sie die für Sie passenden Schritte gefunden haben. Wichtig ist, dass Ihnen die Arbeit mit den Texten auch Freude bereitet – ohne sich schuldig zu fühlen!

 

Welchen der Workflows nutzen Sie oder haben Sie ein ganz anderes System entwickelt, um wissenschaftliche Texte zu annotieren und zu markieren? Möchten Sie uns Ihr „guilty pleasure“ beim wissenschaftlichen Arbeiten verraten? Über Ihre Kommentare auf Facebook würden wir uns sehr freuen!

 

Zur Vertiefung

Hermida, Julian (2009): The Importance of Teaching Academic Reading Skills In First-Year University Courses. In: SSRN Journal. DOI: 10.2139/ssrn.1419247.

Qayyum, Muhammad Asim (2008): Capturing the online academic reading process. In: Information Processing & Management 44 (2), S. 581–595. DOI: 10.1016/j.ipm.2007.05.005.

Rost, Friedrich (2018): Wissenschaftliche Texte lesen, verstehen und verarbeiten. In: Friedrich Rost (Hg.): Lern- und Arbeitstechniken für das Studium. 8., vollständig überarbeitete und aktualisierte Auflage, Online-Ausgabe. Wiesbaden: Springer VS (SpringerLink Bücher), S. 191–228. ISBN: 978-3-658-17625-9

Erstellt von: Jana Behrendt – Veröffentlicht am: 02.06.2020
Tags: Wissen managen


Über Jana Behrendt

Jana Behrendt interessiert sich für alles rund um die persönliche Wissensorganisation – wie man es von einer studierten Bibliothekarin erwarten würde. Dafür liest sie in Ihrer Freizeit ziemlich wenig. Sie liebt es aber, in den Schweizer Bergen zu wandern – solange sie nicht nach unten schauen muss.

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