Normgerecht zitieren

Wie verbindlich sind Zitiernormen?

Bildnachweis: BENCE BOROS on Unsplash

Die Vorstellung eines internationalen Zitierstandards ist grandios: Es gäbe weltweit nur ein Regelwerk dafür, wie man normgerecht wissenschaftlich zitiert. Die Zusammenarbeit in Autorenteams, der Datenaustausch und das Wiederfinden von Publikationen wären spielend leicht. Diese Vorstellung bleibt jedoch auch im Jahr 2020 nur ein Traum (nicht nur des Citavi-Teams).

Denn leider stolpern Studierende immer wieder über die Frage, wie man denn „richtig“ zitiere. Darauf lässt sich pauschal jedoch keine Antwort geben. Nur zu gerne würden wir auf eine Norm verweisen mit dem Hinweis „So geht’s“.

Jedoch zeigen sich in der Praxis keine Grenzen der Kreativität, was Zitierregeln angeht: In Citavi gibt es deshalb mittlerweile über 11.000 verschiedene Zitationsstile von Verlagen und Zeitschriften. Noch dazu gezählt werden müssen die vielen weiteren Richtlinien, die individuell von Professoren, Fakultäten oder Instituten als Handreichung herausgegeben werden. Wechselt man den Studiengang, das Fach oder die Hochschule, können die zuvor erlernten Regeln plötzlich „falsch“ sein. Man fragt sich, warum sich Hochschulen und Universitäten im deutschsprachigen Raum diese Mühe machen, wenn es doch viel einfacher wäre, einen allgemeinen Standard zu empfehlen. Denn man würde erwarten, dass in Deutschland, wo es ein Gesetz für das Füllen von Gläsern gibt, doch wohl auch beim Zitieren strikte Regeln eingehalten werden müssen.

In anderen Ländern wie den USA werden an Universitäten vorwiegend nur ein paar Zitationsstile empfohlen: APA, worüber wir in diesem Blog-Beitrag berichtet haben, MLA, Chicago und Vancouver. Uns erreichte die Nachfrage eines Blog-Lesers, wie es sich denn mit der Zitier-Norm ISO 690 verhalte. Welchen Stellenwert hat die internationale Norm ISO 690 in der Praxis? Dieser Frage möchten wir in diesem Beitrag nachgehen.

 

Der Vorläufer der ISO 690: Die deutsche DIN-Norm 1505

Das DIN Deutsche Institut für Normung e.V. ist die deutsche "Nationale Normungsorganisation“. Die eigentliche Erstellung der Norm eines Fachgebiets findet in Normenausschüssen statt. Somit werden die Regeln von Profis des jeweiligen Fachgebiets formuliert. Als Laie mag man denken, dass eine deutsche Norm stets verbindlich sei. DIN-Normen haben jedoch "den Charakter von Empfehlungen" (Klein 2001, S. 14). Gilt das auch für die DIN-Norm, die sich mit Zitierregeln befasst?

Die Norm DIN 1505 „Titelangaben von Dokumenten“ – Teil 2: Zitierregeln aus dem Jahr 1984 behandelt das Zitieren von Dokumenten. Mit der Norm wird das Ziel verfolgt, ein Dokument identifizieren und es dadurch leichter wiederbeschaffen zu können. Die Norm soll über ein Beschreibungsmuster eine Hilfe an die Hand geben, um Dokumententypen leichter bestimmen und damit belegen zu können (Lorenzen 1997).
Die Vorgaben der Norm lehnen sich dabei eng an die damaligen Katalogisierungsregeln in Bibliotheken an (Wiesenmüller 2004, S. 169). Der Normenausschuss dieser Norm bestand vermutlich zu einem großen Teil aus Bibliothekaren. Denn eine Interpunktion wie ein Leerzeichen vor einem Doppelpunkt ist beim wissenschaftlichen Zitieren ungewöhnlich – in der damaligen Bibliothekswelt jedoch Standard. Frau Prof. Wiesenmüller gab in einem Seminar während meines Studiums an der Hochschule der Medien in Stuttgart zur praktischen Anwendung der Norm die Einschätzung ab, dass DIN 1505 nicht weit verbreitet sei.

Gilt das auch für deren Nachfolger?

 

Die internationale Norm ISO 690

Die International Organization for Standardization (ISO) veröffentlicht seit 1946 internationale Normen. Heute setzt sich die unabhängige, nicht-staatliche Organisation aus Mitgliedern aus 164 Ländern zusammen. Das Deutsche Institut für Normung (DIN) entsendet als Mitglied Experten zur internationalen Normenorganisation.

Die internationale ISO-690-Norm wurde bereits 2010 in englischer Sprache veröffentlicht (die vorhergehende Norm stammt aus dem Jahr 1997). Sie wurde in verschiedenen Sprachen übernommen, unter anderem auf Französisch als Norm NF ISO 690-2010 oder auf Deutsch. Die deutschsprachige Norm ISO 690 ersetzt die DIN-Norm 1505. Insbesondere Angaben, wie elektronische Dokumente zitiert werden sollten, wurden in der 2013 veröffentlichten Norm DIN ISO 690:2013-10 „Information und Dokumentation – Richtlinien für Titelangaben und Zitierung von Informationsressourcen“ ergänzt.

Schauen wir uns die Norm genauer an. Sie beschreibt drei unterschiedliche Methoden des Zitierens:

  • Numbers (Referenznummern): Der Quellennachweis erscheint im Text als Zahl in Klammern. Die Zahlen werden in der Reihenfolge vergeben, in der die Quellen im Text erscheinen. Die jeweilige Zahl steht im Literaturverzeichnis vor dem zitierten Werk. Das Literaturverzeichnis ist nicht alphanumerisch sortiert.
  • Author-Date (Kurznachweis im Text; Harvard-Methode): Der Quellennachweis erscheint im Text als Kombination aus Autorennamen und Jahreszahl. Das Literaturverzeichnis ist alphanumerisch sortiert.
  • Running notes (Endnoten): Der Quellennachweis erscheint im Text als Zahl in Klammern. Die Zahl wird am Ende der Arbeit in einem Endnoten-Verzeichnis aufgelöst, vergleichbar mit Fußnoten. Diese dritte Variante steht in Citavi nicht als Zitationsstil zur Auswahl.

Frau Prof. Bertram von der Hochschule Hannover hat 2019 die Richtlinien der DIN ISO 690 näher analysiert und ist dabei auf einige Unstimmigkeiten gestoßen. Unter anderem stolperte sie über:

  • Nachnamen und Vornamen in unterschiedlichen Schreibweisen
  • Datumsangaben in unterschiedlichen Formaten
  • ISSN-Angaben (der Print- und der Online-Version der Zeitschrift) zusätzlich zur DOI

Schließlich entdeckte sie sogar ein und dasselbe Beispiel in unterschiedlicher Form innerhalb der Norm (Bertram 2019, S. 222):

Für Frau Prof. Bertram erfüllt die Norm aufgrund der uneinheitlichen Regeln und Flüchtigkeitsfehler u.a. bei der Übersetzung und Interpunktion ihren Zweck nicht, eine Orientierungshilfe für das Zitieren zu sein.

Auch das Citavi-Team schätzt die Norm als nicht verbindlich ein. Sie enthält keine eindeutigen, vollständigen und widerspruchsfreien Vorgaben. Sie macht also das Gegenteil dessen, was man von einer Manuskript-Richtlinie erwarten würde. Es heißt stattdessen im Text: „Diese Internationale Norm legt keine bestimmte Form für Titelangaben oder Zitierungen fest. Die in dieser Internationalen Norm verwendeten Beispiele sind in Bezug auf die Form und Interpunktion nicht maßgebend“ (DIN 2013, S. 5).

Es werden auch nicht alle Dokumententypen abgedeckt, z.B. werden Gesetzesstellen bewusst ausgeschlossen. Ironischerweise zeigt die Norm auch nicht auf, wie man Normen zitiert.

 

Praktische Anwendung der Zitiernormen

Laut unserer Statistik der in Citavi abgerufenen Zitationsstile ist der Stil „DIN ISO 690 (Author-Date)“ zumeist in der Top Ten der am häufigsten neu abgerufenen Zitationsstile vertreten. Auch in Google Scholar und anderen Datenbanken wird der Export einer Zitation im Format DIN ISO 690 angeboten. Die Zitierregeln der Norm finden folglich in der Praxis Anwendung.

Dennoch erreichen uns regelmäßig Zitierrichtlinien von Studierenden, in welchen die Norm nicht erwähnt wird. Unter Umständen erfahren Studierende nie, dass es eine solche Norm gibt. Wir vermuten, dass die Unverbindlichkeit viele Hochschulen und Universitäten davon abhält, die Norm zu empfehlen. Da sich die Beispiele widersprechen oder verschiedene Varianten möglich sind, werden lieber eigene Empfehlungen formuliert. Hinzu kommt, dass die Kosten für die Beschaffung der Norm recht hoch sind, wenn die eigene Institution diese nicht lizenziert hat.

Da die DIN ISO 690 Norm dieses Jahr 7 Jahre alt wird, erkennt der Normenausschuss unter Umständen den Bedarf, die Norm zu aktualisieren. Die englischsprachige Norm ISO 690 wird derzeit überarbeitet. Es ist dabei möglich, eigenes Feedback zur Norm einzubringen. Nutzen Sie Ihre Chance, bei der Gestaltung der Norm mitzuarbeiten und sie praxistauglicher zu gestalten. Die Mitarbeit ist über die ISO-Organisation Ihres Landes möglich, in Deutschland über DIN. Dies war auch bereits für die aktuelle deutsche Ausgabe der DIN ISO 690 möglich.
Durch Ihre Erfahrungen könnte die überarbeitete Norm verbessert und schlussendlich verbindlicher werden!

 

Hatten Sie für eine Arbeit die Vorgabe, nach DIN ISO 690 zu zitieren? Über welche Probleme sind Sie dabei gestolpert? Haben wir Details übersehen? Wir freuen uns über Ihre Erfahrungen und Meinungen auf unserer Facebook-Seite.

 

Zur Vertiefung

Bertram, Jutta (2019): Wer, wie, was – und wieso, weshalb, warum so kompliziert? Eine Auseinandersetzung mit den Zitierrichtlinien von DIN ISO 690. In: b.i.t. online 22 (3). Online verfügbar unter https://www.b-i-t-online.de/heft/2019-03-fachbeitrag-bertram.pdf, zuletzt geprüft am 03.01.2020.

DIN 1505, Januar 1984: Titelangaben von Dokumenten - Teil 2 Zitierregeln.

DIN ISO 690:2013-10, Oktober 2013: Information und Dokumentation – Richtlinien für Titelangaben und Zitierung von Informationsressourcen (ISO 690:2010).

Klein, Martin (2001): Einführung in die DIN-Normen. 13., neubearbeitete und erweiterte Auflage. Hg. v. P. Kiehl, N. Breutmann, W. Goethe, H.-P. Grode, E. Liess, D. Machert, et al. Wiesbaden: Vieweg+Teubner Verlag (Springer eBook Collection Computer Science and Engineering). ISBN: 978-3-322-92719-4

Kolatzek, Robert (2012): Effizientere Nutzung bibliographischer Metadaten im wissenschaftlichen Bereich durch Verbesserung der Datenqualität. Universität des Saarlandes. Online verfügbar unter https://publikationen.sulb.uni-saarland.de/bitstream/20.500.11880/25693/1/Effizientere_Nutzung_bibliographischer_Metadaten_im_wissenschaftlichen_Bereich_durch_Verbesserung_der_DatenqualitAt.pdf, zuletzt geprüft am 07.01.2020.

Lorenzen, Klaus F. (1997): Das Literaturverzeichnis in wissenschaftlichen Arbeiten. Erstellung bibliographischer Belege nach DIN 1505 Teil 2. FH Hamburg, FB Bibliothek und Information. Online verfügbar unter https://www.haw-hamburg.de/fileadmin/user_upload/DMI-I/Studium/Lorenzen__litverz.pdf, zuletzt aktualisiert am Januar 1997, zuletzt geprüft am 08.01.2020.

Wiesenmüller, Heidrun (2004): Informationsaufbereitung I: Formale Erfassung. In: Rainer Kuhlen, Thomas Seeger und Dietmar Strauch (Hg.): Grundlagen der praktischen Information und Dokumentation. Band 1: Handbuch zur Einführung in die Informationswissenschaft und -praxis. 5., völlig neu gefasste Ausgabe. München: Saur, S. 167–177. ISBN: 3598116756

 

Erstellt von: Jana Behrendt – Veröffentlicht am: 11.02.2020
Tags: Zitieren Gut zu wissen


Über Jana Behrendt

Jana Behrendt interessiert sich für alles rund um die persönliche Wissensorganisation – wie man es von einer studierten Bibliothekarin erwarten würde. Dafür liest sie in Ihrer Freizeit ziemlich wenig. Sie liebt es aber, in den Schweizer Bergen zu wandern – solange sie nicht nach unten schauen muss.

Get a regular dose of research inspiration. Enter your email address to get bi-weekly emails whenever new content is added.